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Literarischer Adventskalender: 6. Türchen

Literarischer Adventskalender

Die AG „Freies Schreiben“ präsentiert einen literarischen Adventskalender. Jeden Tag gibt es ein selbst geschriebenes Gedicht oder eine kleine Geschichte.

Hinter 24. Türchen warten hier täglich neue Texte, von Elfchen bis zu mehrteiligen Kurzgeschichten:

Jagd auf den Nikolaus

Paul und Tina haben einen Plan. Dieses Jahr wollen sie es endlich schaffen. Sie wollen ihn auf frischer Tat ertappen. Den Nikolaus. Paul ist schon ganz aufgeregt. Er hat sich alles gut überlegt. Der Plan ist einwandfrei. „Er wird uns nicht entkommen“, verkündet er feierlich und seine Schwester Tina nickt begeistert. Am Abend vorher stellt Paul seinen Wecker auf fünf Uhr. Da kommt der Nikolaus, dass weiß Paul, weil er letztes Jahr um Punkt fünf von einem Geräusch geweckt wurde. Er braucht lange, bis er schlafen kann, so aufgeregt ist er und während Tina im Nebenzimmer schlummert, wälzt sich Paul unruhig hin und her. Was, wenn sie ihn verpassen? Es ist schon fast ein Uhr, als sich seine Augen endlich für längere Zeit schließen.

Zumindest für drei Stunden. Dann klingelt, wie geplant, sein Wecker. Paul sitzt sofort aufrecht im Bett. Schnell, bevor Mama und Papa wach werden, stellt er das Klingeln aus und schleicht in das Zimmer seiner Schwester. Vorsichtig rüttelt er Tina an der Schulter. „Hey, aufwachen. Es ist soweit!“ Tina guckt ihn verschlafen an. „Hä?!“, murmelt sie. Paul verdreht die Augen. „Der Nikolaus!“ Das wichtige Wort reißt seine Schwester vollends aus dem Schlaf. Sie springt auf und die beiden Geschwister schlüpfen in ihre dicksten Pullover und Winterjacken.

So leise sie können, schleichen sie sich die Treppe hinunter und durch die Hintertür nach draußen. Es ist kalt und dunkel, Paul fröstelt und zieht Tina näher an sich. Arm in Arm stehen sie vor der Haustür und betrachten die noch leeren Stiefel. „So, jetzt verstecken“, befiehlt Paul. Tina nickt und die beiden Kinder kriechen geduckt zwischen die Zweige der Hecke, die ihr Grundstück begrenzt. Eng aneinander gekuschelt setzen sie sich so hin, dass sie die Stiefel im Blick behalten können. „Und jetzt heißt es warten“, murmelt Tina. Sie klingt müde. Paul legt eine mitgebrachte Decke über ihre beiden Körper, damit sie nicht frieren. Tina kuschelt sich dichter an ihn, vergräbt ihren Kopf in seinem Pullover. Sie beginnt sie zu entspannen, langsam dämmert sie weg.

Paul lässt sie, es reicht ja auch, wenn einer wach bleibt. Aber als er nach nur fünf Minuten merkt, wie Tinas Atem ruhiger wird, fällt es auch ihm schwer, die Augen offen zu halten. Und an der Haustür tut sich – gar nichts. Paul gähnt. Tina schmiegt sich im Schlaf an ihn, ihre Haare kitzeln ihn an der Wange. Wo bleibt der Nikolaus denn nur? Ihm fallen die Augen zu. Sein Kopf sinkt zur Seite. Es ist so kuschelig und er ist so müde, schließlich hat er kaum geschlafen. So müde…

Plötzlich hört er eine Stimme. „Paul? Tina?“ Paul schreckt hoch und sein Blick fällt auf die Armbanduhr an seinem Handgelenk. Es ist fast sechs! Er ist eingeschlafen! Und die Stimme gehört zu seinem Vater. Mit gerunzelter Stirn sieht dieser auf seine beiden Kinder herab, die da zusammengekuschelt auf der harten Erde liegen. Tina rührt sich jetzt auch, reibt sich die Augen und blinzelt schlaftrunken hoch. „Ist der Nikolaus da?“, fragt sie. Paul stöhnt. In dem Moment hat er nämlich hinter der Schulter seines Vaters ihre Stiefel bemerkt und vor allem die Süßigkeiten, die sich darin stapeln. Na toll. „Mission gescheitert“, murmelt er enttäuscht. Sein Vater sieht verwirrt zwischen den beiden hin und her. „Ihr seid wahnsinnig“, sagt er, aber er lächelt dabei. Paul und Tina ist nicht nach Lächeln zumute. Dann müssen sie es nächstes Jahr eben noch mal versuchen.

Eine Kurzgeschichte von Imke Claußen (11e)